Weshalb ist es so schwer zu akzeptieren, dass manche Menschen neues Wissen nicht annehmen?

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Wie kann man einer Person erklären, dass ihr mentales Modell grundlegend falsch ist – wenn ihr ganzes Denken darauf basiert? Wie kann ich herausfinden welches Wissen mir fehlt, wenn mein gesamter Denkrahmen durch mein vorhandenes Wissen begrenzt ist? Wie geht man mit Menschen um, die sich weigern, anderes Wissen anzuerkennen und es direkt als Fakenews beschreiben? Weshalb ist es schwer zu akzeptieren, dass manche Menschen faktenbasiertes Wissen nicht annehmen?

1. Frage: Wie kann man einer Person erklären, dass ihr mentales Modell grundlegend falsch ist – wenn ihr ganzes Denken darauf basiert?

Antwort:

Ein mentales Modell ist niemals per se „falsch“. Es ist das Ergebnis subjektiver Erfahrung, geprägt durch individuelle Wahrnehmung, Motivation und soziale Einbettung. Die Behauptung, ein Modell sei „grundlegend falsch“, setzt entweder voraus, dass es ein objektiv „richtiges“ Modell gibt (was philosophisch fraglich ist), oder dass empirisch überprüfbare Evidenz akzeptiert wird – was wiederum die Bereitschaft zur Revision verlangt. Viele Menschen vermeiden jedoch kognitive Umstrukturierung, da sie mit Unsicherheit verbunden ist.

Neben dieser subjektivistischen Perspektive kann man mentale Modelle auch danach bewerten, wie funktional und anschlussfähig sie in der Realität sind. In bestimmten Kontexten (z. B. Medizin, Technik, Sicherheit) ist nicht die Wahrheit, sondern die praktische Angemessenheit entscheidend. Anstelle einer direkten Infragestellung des gesamten Modells ist es wirksamer, über konkrete Risiken und den potenziellen Nutzen alternativer Sichtweisen zu sprechen.

2. Frage: Wie kann ich herausfinden, welches Wissen mir fehlt, wenn mein gesamter Denkrahmen durch mein vorhandenes Wissen begrenzt ist?

Antwort:

Eine sehr gute Frage – und fast schon die Antwort. Moderne KI kann durch gezielte Prompts neue Perspektiven eröffnen. Auch Fachleute, Diskussionen außerhalb der eigenen Filterblase sowie intensives Lesen helfen, den eigenen Horizont zu erweitern.

Darüber hinaus hilft metakognitives Denken – also das Nachdenken über die eigenen Denkprozesse. Fragen wie: „Welche Annahmen liegen meinem Denken zugrunde?“ oder „Was müsste passieren, damit ich meine Meinung ändere?“ fördern Einsicht in blinde Flecken. Vollständig ausschließen lassen sich epistemische Grenzen jedoch nie: Das Problem der „unknown unknowns“ bleibt bestehen.

3. Frage: Wie geht man mit Menschen um, die sich weigern, anderes Wissen anzuerkennen und es direkt als Fake News bezeichnen?

Antwort:

Bei vielen Menschen ist der Versuch wohl vergebens. Wer nicht lernen will, wird es nicht tun. Eine mögliche Strategie ist, der Gegenseite den Spiegel vorzuhalten, indem man ihre Quellen ebenfalls als Fake bezeichnet – vielleicht erzeugt das Irritation. Grundsätzlich bin ich aber zurückhaltend mit der Hoffnung, dass tiefe Überzeugungen aufgegeben werden. Öffnung entsteht meist erst dann, wenn persönlicher Nutzen oder drohender Schaden sichtbar wird.

Die Strategie der Spiegelung kann kurzfristig irritieren, birgt aber das Risiko von Reaktanz – einer psychologischen Abwehrhaltung. Nachhaltiger wirken Ansätze, die auf gemeinsame Werte oder konkrete Alltagsbezüge abzielen. Fragen statt Aussagen („Was würde dich überzeugen?“) können vorsichtige Öffnungen ermöglichen. Dabei ist jedoch Geduld erforderlich – und manchmal auch die Einsicht, dass Überzeugungsarbeit nicht immer fruchtet.

4. Frage: Weshalb ist es schwer zu akzeptieren, dass manche Menschen faktenbasiertes Wissen nicht annehmen?

Antwort:

Weil Fakten nicht nur rational, sondern auch emotional verarbeitet werden. Informationen, die dem bestehenden Weltbild widersprechen, bedrohen das Selbstverständnis, die soziale Identität oder das Gefühl von Kontrolle – und werden daher oft abgewehrt. Dieses Phänomen nennt man kognitive Dissonanz: Um den inneren Widerspruch zu vermeiden, greifen Menschen zu Ausreden oder alternativen „Wahrheiten“, statt sich kritisch mit neuen Informationen auseinanderzusetzen. Besonders in politisierten Kontexten überwiegt der Wunsch nach innerer Kohärenz gegenüber der Offenheit für neue Evidenz.

Neben der Dissonanzvermeidung spielt auch soziale Zugehörigkeit eine Rolle. Wenn faktenbasierte Informationen der Gruppenmeinung widersprechen, riskieren Menschen Ausschluss oder Ablehnung. Die Ablehnung von Fakten kann daher Ausdruck von Gruppenloyalität sein – und weniger von intellektueller Ignoranz.

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